WORT WELTEN in der Vorlesescheune
Das Publikum staunte nicht schlecht, dass schon im zweiten Jahrhundert nach Christus von einer Reise auf den Mond erzählt wird. Lukian von Samosata phantasiert von Mondbewohnern, die ihre Augen nur einsetzen, wenn sie etwas sehen wollen. Ihre Ohren gleichen Platanenblätter und wenn sie sehen und hören wollen, was auf der Erde los ist, blicken sie in riesige Spiegel. Womit Lukian die Satellitentechnik in gewisser Weise vorweg genommen hat. Trotz der kühlen Temperaturen war die Vorlesescheune für Erwachsene unter Corona-Bedingungen am 17. Oktober gut besucht. Eine der wenigen Veranstaltungen innerhalb des Ludwigsburger Literaturfestivals WORT WELTEN – Vom Aufbrechen und Ausbrechen, die überhaupt angesichts der gestiegenen Infektionszahlen stattfinden konnte. Vergnüglich auch die Liebesgeschichte eines Erdenbewohners und einer Martianerin, erdacht von Kurd Lasswitz Ende des 19. Jahrhunderts, die mit einem Jodler ihr Happyend findet. „Ich hab‘ nichts anzuziehen“, diesen Satz gibt es im Paris des Jahres 2088 nicht mehr. In „Hologrammatica“ von Tom Hillenbrand hängen Blanko-Anzüge und -Kostüme im Schrank, die man nach Belieben holographisch mit Farben und Mustern schmücken kann.Im zweiten Teil ging es um Utopien-Dystopien der gesellschaftlichen Entwicklung, die seit Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“ von 1932 häufig um die Frage kreist, wie weit wir durch technologische Möglichkeiten alles beherrschende Systeme erschaffen, denen wir uns unterwerfen.Weitergeführt von Dave Eggers 2014 in der Welt eines Online-Konzerns: „Der Circle“. Einen überraschenden Ausweg bietet Jérôme Leroy an: In seinem Zukunfts-Krimi „Die Verdunkelten“ verschwinden immer mehr Leute, sie entfliehen dem Druck in ein anderes Leben und entziehen so „denen da oben“ jede Basis, das Leben durch angebliche Sach- oder Karrierezwänge zu beherrschen.
Die Leseliste:
- Lukian von Samosata, „Der Geschichte erstes Buch, Marix
- Tom Hillenbrand, „Hologrammatica“, KiWi
- Kurd Lasswitz, „Auf zwei Planeten“, Heyne
- Aldous Huxley, „Schöne neue Welt“, Fischer
- Dave Eggers, „Der Circle“, KiWi
- Jérôme Leroy, „Die Verdunkelten“, Fischer
- Stanslaw Lem, „Sterntagebücher“, Suhrkamp
Zum hoffnungsvollen und vergnüglichen Abschluss bin ich von der Vorleserin mal wieder zu Erzählerin geworden mit der Geschichte „Das Tintenfisch-Prinzip“ aus meiner Reihe „Beschwerden an die Schöpfung“.